Auf der Demo zum Tag der Befreiung waren in Frankfurt dieses Jahr bis zu 400 Antifaschist*innen auf der Straße. In unserer Rede haben wir die zunehmende Verharmlosung und Entleerung von den Begriffen “Nazi” und “Faschismus” thematisiert.
Was bedeutet es heute Antifaschist*in zu sein? Was heißt es 77. Jahre danach an den militärischen Sieg über den Nazifaschismus zu erinnern?
Begriffe wie Nazi und Faschismus waren wahrscheinlich noch nie so vielen Verdrehungen, Verfälschungen und Verharmlosungen ausgesetzt, wie wir es in den letzten zwei Jahren erlebt haben. Selbsternannte Querdenker*innen haben die Infektionsschutzmaßnahmen kurzer Hand zu einer faschistischen Diktatur erklärt. Impfgegner*innen stellten sich selbst in eine Reihe mit den verfolgten Jüd*innen in Nazi-Deutschland und wähnten sich im Widerstand wie die Mitglieder der Weißen Rose zur Zeit des deutschen Faschismus. Und alle, die sich den Aufmärschen der Corona-Rechten in den Weg stellen, dürften es erlebt haben, dort selbst als Nazi oder Faschist beschimpft worden zu sein.
Aber damit nicht genug. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine werfen sich beide Seiten gegenseitig vor, Nazis zu sein. Putin schwadroniert davon, die Ukraine entnazifizieren zu wollen. Zugleich bezeichnet er die Ukraine aber auch als künstliches Produkt der Sowjetunion, das vom Kommunismus befreit werden müsse. Im Westen hingegen waren die Putin-Hitler-Vergleiche schnell zur Hand. Verschiedene Medien und Politiker*innen überboten sich gegenseitig im Geschichtsrevisionismus – mal wurden parallelen zu Nazi-Deutschland gezogen, mal die Kontinuität der Sowjetunion in Russland propagiert. Die Gleichzeitigkeit von Antikommunismus und Faschismusverharmlosung ist dabei nicht zu übersehen und hat historische Tradition.
Sowohl die Corona-Rechten als auch der Ukrainekrieg zeigen, wie unverzichtbar eine lebendige, antifaschistische Erinnerungskultur ist. Wir müssen uns unsere Geschichte aktiv aneignen und sie gegen die Versuche der Verdrehung, Verharmlosung und Instrumentalisierung verteidigen! Dazu gehört, dass wir zumindest einen relativ klaren Vorstellung davon entwickeln müssen, was der Begriff Faschismus beschreibt und wer die FaschistInnen von heute sind.
Denn die deutsche Erinnerungskultur und vor allem auch die Kulturindustrie haben Begriffe wie Nazi zu Karikaturen gemacht und ihres Inhalts beraubt. Nazi ist ein Synonym für das absolut Böse geworden. Nazis erscheinen als übernatürliche Bösewichte, die in Comics von Superheld*innen bekämpft werden. Nazis werden als dämonische Diktatoren dargestellt, die kaum noch an Menschen erinnern. Aber wenn Nazis nur das absolut Böse sind, dann ist es leicht, kein Nazi zu sein. Dann ist es leicht für die AfD zu sagen, dass sie keine FaschistInnen sind. Dann ist es leicht, diesen zunehmend entleerten Begriff zu instrumentalisieren und alle als Nazi zu bezeichnen, die man als seine politischen Gegner*innen betrachtet.
Doch Nazis und FaschistInnen sind nicht etwas unvorstellbar Böses aus Mythen und Märchen. Nazis und FaschistInnen sind sehr real, sie existieren hier und heute und haben ein sehr spezifisches Weltbild. Nazis und FaschistInnen sind vielleicht deine Arbeitskolleginnen, die häufig rassistische Witze machen. Nazis und FaschistInnen sind im Zweifel deine Nachbarn, die sich auffallend viel über Migrant*innen beschweren. Nazis und FaschistInnen sind wahrscheinlich deine Onkels, die sich bei Familienfesten über den Niedergang der deutschen Nation echauffieren. Nazis und FaschistInnen sind sicherlich einige Cops in deinem Viertel, die geheime Chatgruppen haben und People of Colour drangsalieren. Nazis und FaschistInnen sind die Menschen in unserer Gesellschaft, die ein ultranationalistisches Weltbild vertreten, die rassistische und patriarchale Einstellungen propagieren, die Antikommunismus und Antisemitismus verbreiten, die für Sozialdarwinismus, Kapitalismus und Volkstümelei stehen. All das zusammen sind Nazis und FaschistInnen und sie sind bis heute eine mörderische Bedrohung für alle, die nicht in ihr eindimensionales Weltbild passen.
Gerade, weil diese Bedrohung noch so aktuell ist und weil die Verbrechen des Faschismus historisch beispiellos waren – gerade deshalb verbietet sich jede politische Instrumentalisierung in den aktuellen internationalen Konflikten; gerade deshalb verbietet sich die Verharmlosung des Faschismus zu einem inhaltslosen Kampfbegriff.
Am 77. Jahrestag der Niederlage des Faschismus an der Macht; am Tag der Befreiung für alle die vom Faschismus verfolgt, gefoltert, eingesperrt, versklavt und getötet wurden; am Tag des Sieges der Roten Armee, der Alliierten und der Partisan*innen; an diesem 8. Mai erinnern wir uns an die Verbrechen des Faschismus, wir gedenken der Opfer und des antifaschistischen Widerstandes. Dieser Tag ist uns Mahnung und historische Verpflichtung, niemals zu vergessen und den Faschismus in seiner heutigen Form mit allen notwendigen Mitteln zu bekämpfen. Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! Für eine lebendige, antifaschistische Erinnerungspolitik! Gegen die Verdrehung, Verharmlosung und Instrumentalisierung der Geschichte!