Die Unsicherheitsbehörden und der 19. Februar

Unsere Rede bei der Mahnwache zum Untersuchungsausschus am 07.02. in Wiesbaden

Heute findet hier in Wiesbaden wieder eine Sitzung des Untersuchungsausschuss zum Anschlag in Hanau statt. Es ist unsere Aufgabe als Antifaschist*innen, die Initiative 19. Februar, die Angehörigen und Überlebenden des rassistischen Terroranschlags von Hanau zu unterstützen. Die Begleitung des derzeit hier stattfindenden Untersuchungsausschusses gehört notwendigerweise dazu. Deshalb wollen wir uns gemeinsam mit der Initiative 19. Februar, den Angehörigen und Überlebenden für eine lückenlose Aufklärung und politische Konsequenzen einsetzen.
Denn auch wenn die deutsche Justiz die Akten geschlossen hat und den rassistischen Terroranschlag als aufgeklärt betrachtet, sind noch viele Fragen offen, gerade zum Versagen der sogenannten Sicherheitsbehörden. 

Besonders eine Episode, die im Rahmen der Ermittlungen zum rassistischen Anschlag von Hanau bekannt wurde, sticht heraus: Im Mai 2018 grillten einige Jugendliche am Jugendzentrum Kesselstadt, als plötzlich ein vermummter Mann mit einer Art Kampfanzug aus dem Gebüsch trat. Dieser beleidigte die größtenteils migrantisierten Jugendlichen und fuchtelte mit einem Sturmgewehr herum. Die verängstigten Jugendlichen alarmierten die Polizei, die auch kam – nur um barsch zu fragen, wer angerufen habe, zu drohen, dass beim nächsten Mal die Kosten des Einsatzes in Rechnung gestellt würden, und zu mutmaßen, Bekannte der Jugendlichen wollten in der Hanauer Innenstadt ein krummes Ding drehen. Anstatt der Bedrohung durch einen bewaffneten Rassisten nachzugehen, wurden die Betroffenen von der Polizei kriminalisiert. An dieser Stelle wird die von rassistischen Vorurteilen und Ressentiments durchdrungene Arbeitsweise der Hanauer Polizei deutlich.

Entsprechend lautet die 10. Frage der Initiative 19. Februar an den Untersuchungsausschuss: Gibt es Zusammenhänge zwischen den Taten am 19. Februar 2020 und dem polizeibekannten Vorfall im März 2017, bei dem in Kesselstadt Jugendliche von einem Mann in militärischer Ausrüstung bedroht wurden? Wäre hier ernsthaft ermittelt worden, hätte ein Verdacht auf den späteren Attentäter fallen können, der im Umfeld des Tatorts wohnte.

Bereits im Jahr 2000 hatte der spätere Attentäter während einer größeren privaten Feier in Hanau mit einem Schwarzen Menschen gestritten und diesen schließlich mit einer Pistole bedroht. Die Pistole soll er in dieser Zeit häufiger bei sich getragen haben. Er war Polizeibekannt. Warum durfte dieser Mann weiter Waffen besitzen? Warum werden migrantisierte Jugendliche nicht ernst genommen, wenn sie von einem bewaffneten Rassisten bedroht werden?

Am 19. Februar 2020 ermordete dieser bewaffnete Rassist neun Menschen aus rassistischen Gründen. Nach dem rassistischen Attentat erschoss der Attentäter seine Mutter und sich selbst. Stunden später stürmte das Frankfurter SEK seine Wohnung. Was im Februar 2020 noch niemand ahnen konnte: Von den 20 SEK-Beamten, die in der Tatnacht im Einsatz waren, wurden 13 im Laufe des Jahres 2021 als Mitglieder von Neonazi-Chatgruppen enttarnt. Wir fragen uns: Welche Rolle spielten die 13 SEK- Beamten, die später in rassistischen Chats aufgefallen sind? Wie tief geht das Nazi-Problem in den deutschen Unsicherheitsbehörden eigentlich? Und wieviel muss noch geschehen, bis Polizei, Bundeswehr, Geheimdienste und Justiz endlich vollkommen entnazifiziert werden? Und was bleibt dann von den Behörden überhaupt noch übrig?

 Wäre der rassistische Anschlag von Hanau verhinderbar gewesen, wenn es kein Rassismus-Problem in den deutschen Unsicherheitsbehörden geben würde? Wenn sie nicht auf dem rechten Auge blind wären? Wahrscheinlich ja. Und wieviele andere antisemitischen Angriffe, rassistischen Morde und rechte Anschläge hätten verhindert werden können? Und wieviele angebliche Einzelfälle mit Polizist*innen als Täter*innen müssen wir noch erleben?

Nächste Woche beginnt in Frankfurt der Prozess in Sachen “NSU 2.0”. Bei dieser Drohbriefserie wurden Daten von antifaschistisch aktiven, linken und migrantisierten Personen, oft Frauen, in Polizeirevieren abgerufen. Vor Gericht steht nun lediglich eine Person – nicht etwa ein Polizist oder eine Polizistin aus den besagten Revieren, sondern ein allein lebender 57-jähriger Mann aus Berlin. Die deutsche Justiz stellt sich schützend vor die rassistische Polizei. Am kommenden Samstag, dem 12. Februar, gibt es aus diesem Anlass eine Demonstration in Frankfurt, die um 16 Uhr im Holzhausenpark beginnt. Es ist wichtig immer und immer wieder auf die Straße zu gehen und offen, laut und unbequem den Rassismus und andere rechte Ideologien anszusprechen, die sich in der Polizei und anderen Behörden ausbreiten. Die Behörden selber tun nichts dagegen.

Antifaschistisch zu kämpfen, muss die Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt und rechter Drohungen bedeuten. Deshalb werden wir den Untersuchungsausschuss, der heute hier in Wiesbaden stattfindet, genauestens verfolgen und weiter die Angehörigen, Überlebenden und ihre Unterstützer*innen in ihrem Kampf um Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen unterstützen!

Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Wir werden euch nicht vergessen und solidarisieren uns mit den Forderungen der Überlebenden und Angehörigen nach Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen.