Unser Redebeitrag von der Kundgebung gegen Antisemitismus in Offenbach am 10.12.2021. Die Kundgebung fand statt, nachdem einen Monat zuvor in der gesamten Offenbacher Innenstadt antisemitische Schmierereien aufgetaucht waren.
Wie ist es möglich, dass seit mehr als eineinhalb Jahren bei den Protesten von Corona-Leugner*innen und Impfverweigerer*innen so verschiedene, auf den ersten Blick fast unvereinbare politische Spektren und soziale Milieus zusammen auf die Straße gehen? Dreadlocktragende Hippies in Pluderhosen laufen neben Naziglatzen in Springerstiefeln – was sich anhört wie ein abgehalftertes Klischee ist die reale Zuspitzung der Gegensätze, die sich auf den Demos der Corona-Leugner*innen zeigen: Reichskriegs- neben Regenbogenflaggen und Menschen, die die Welt mit der Kraft der Liebe heilen wollen, neben Menschen, die ihre Vernichtungsphantasien klar und offen artikulieren.
Aber was verbindet eigentlich diese wirre Mischung an Menschen, die gemeinsam auf die Straße gehen? Was vereint Esoteriker*innen und die extreme Rechte? Auffällig sind nicht nur die Vielzahl von Verschwörungsideologien, sondern auch der implizite und explizite Antisemitismus, der auf den Demos der Corona-Leugner*innen immer offener zur Schau getragen wird. So gab es beispielsweise auf den Demonstrationen der letzten Wochen in Frankfurt immer wieder Anspielungen auf den Kontext des Nazifaschismus und Relativierungen des Holocaust. Dabei scheinen sich die Beteiligten jedoch uneinig darüber zu sein, ob sie die „neuen Nazis“ oder die „neuen Jüd*innen“ sind. Mit dem Schriftzug „Ungeimpft“ werden einerseits Anstecker im Stil des Davidsterns, andererseits Armbinden im Stil der Hakenkreuzarmbinde getragen. Ein weiterer Teilnehmer bezeichnete Corona als „Zyklon C“ – in Anlehnung an das in den NS-Vernichtungslagern verwendete Gift Zyklon B.
Diese wenigen Beispiele sollten zeigen, wie widerwärtig, widersprüchlich und absurd die Mischung der Menschen ist, die auf diesen Demos zusammenkommt. Man könnte fast meinen, die Welt ist verrückt geworden – oder zumindest die Menschen, die dort laufen. Aber wer die Querdenken-Bewegung einfach als dumm abtut, macht es sich zu leicht und unterschätzt auf fatale Weise das mörderische Potential, was sich in ihr verbirgt.
Denn es ist sicher kein Zufall, dass Esoterik-Freaks und Waldorf-Anthroposoph*innen sich mit Reichsbürger*innen und Neofaschist*innen zusammentun, um gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur zu kämpfen. Das gemeinsame Weltbild zeichnet sich durch Wissenschaftsfeindlichkeit, Vorstellungen natürlicher Reinheit und mystisch-irrationales Denken aus. Dabei ist der Weg von einer vermeintlich natürlichen Reinheit des Körpers nicht weit zu der rassistischen und antisemitischen Idee einer reinen Volksgemeinschaft. Die gefühlte Wahrheit von Fake News rechter Medien geht Hand in Hand mit der gefühlten Wirksamkeit von Homöopathie und esoterischen Ritualen. Für beide Phänomene gilt: Komplexe Zusammenhänge, Ungewissheiten und Überforderung wird mit einfachen Wahrheiten und Lösungen begegnet.
Verschwörungsideologien und Antisemitismus sind die logische Konsequenz aus diesem Weltbild, in dem abstrakte Prozesse nicht mehr begriffen und Ungewissheiten nicht ausgehalten werden können. Wichtig für dieses Weltbild ist dabei, dass Unglücke und Katastrophen nicht als solche begriffen werden, sondern einzelne Personen oder Gruppe dafür verantwortlich gemacht werden müssen. Man selbst fühlt sich als Opfer böser Machenschaften – und weil man selbst das Opfer ist, wird jedes Mittel zur Ver-teidigung recht. Das mörderische Potential, das sich hierin verbirgt, hatte einen seiner bisherigen Höhepunkt in dem Mord an Alexander W. aus Idar-Oberstein. Ermordet, weil er einen Mann aufgefordert hatte, eine Maske zu tragen. Das ist so widerwärtig, dass man es kaum glauben kann.
Aber war eine solche Eskalation nicht vorhersehbar? Langzeitstudien verweisen schon seit Jahren auf einen relativ hohen Anteil antisemitischer Weltbilder in der Bevölkerung. Und vor dem Gewaltpotential von Querdenken haben wir als antifaschistische Bewegung gewarnt, seit es Querdenken gibt. Dass Verschwörungsideologien mit Vernichtungsphantasien einhergehen, ist zudem eine zentrale Lehre aus der deutschen Geschichte. Aber wie kann es eigentlich sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der massenhaft Menschen solche Weltbilder entwickeln? Wie kommt es, dass tausende Menschen für eine individuelle Freiheit auf die Straße gehen, die darin besteht auf das Wohlergehen aller anderen zu scheißen?
Dieses Verständnis von Freiheit beinhaltet gerade nicht die Erkenntnis, dass eine Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn sich jede*r einzelne von uns ein gewisses Maß an Verantwortung zuschreibt, wenn jede*r einzelne auch für alle anderen Mitglieder der Gesellschaft Sorge trägt. Der Kapitalismus als System ist ein Grund für dieses egoistische und un-soziale Verständnis von Freiheit. Der Kapitalismus ist die Ursache für die Überforderung und Vereinzelung in dieser Gesellschaft. Denn nicht Kooperation und Solidarität, sondern Konkurrenz und Individualismus stehen hier an der Tagesordnung. Individuelle Selbstverwirklichung wird gepredigt, bleibt aber für die meisten unerfüllbar. Die Profite von Wenigen werden über die Bedürfnisse aller Menschen gestellt. Häuser stehen leer und Essen wird weggeschmissen, während andere auf der Straße hungern und erfrieren.
Selbst in einer weltweiten Pandemie handelt die Regierung dieses Staates nicht nach menschlich-solidarischen, sondern nach ökonomischen Beweggründen. Menschenleben werden gegen die Profite des nationalen Kapitals abgewogen. Der Lockdown umfasste strikte und weitgreifende Regelungen für die Gestaltung des Privaten, während Arbeitsplätze als Infektionshotspots ignoriert wurden. Impfstoff-Patente werden aufrechterhalten, um die Gewinne von Einzelnen zu schützen, während der Virus sich verbreitet, mutiert und die Impfwirkung zunehmend abschwächt. Das ein so irrational funktionierendes System auch irrationale, ja teilweise vollkommen wahnsinnige Protestbewegungen hervorbringt, die Antisemitismus und Verschwörungsideologien predigen, kann eigentlich niemanden wundern.
Als Antifaschist*innen sehen wir uns deshalb mit einer doppelten Aufgabe konfrontiert: Wir müssen die menschenfeindlichen Proteste auf der Straße bekämpfen sowie das menschenfeindliche System, in dem sie ihren Ursprung haben. Unser antifaschistischer Abwehrkampf gegen Corona-Leugner*innen und Impfverweiger*innen muss Teil des Kampfes um eine solidarische, antiautoritäre und egalitäre Perspektive sein. Unser Antifaschismus ist Teil des Ringens um eine kommunistische Gesellschaft, in der niemand Angst haben muss vor Armut, Ausbeutung und Diskriminierung.