Gestern – am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee – haben wir an der Kundgebung „Höchst stellt sich quer! Wir sind die Mehrheit und schweigen nicht! 27. Januar – Holocaust-Gedenktag: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“ teilgenommen. Organsiert wurde die Veranstaltung dankenswerterweise von VVN-BdA, IG BCE, IG Metall und einem Höchster Vorbereitungskreis. Mit gut 400 Antifaschist*innen konnte ein deutliches Zeichen gegen den gleichzeitig stattfindenden Aufmarsch von 94 Corona-Rechten am selben Abend gesetzt werden. Denn Verschwörungsideologien und Antisemitismus haben keinen Platz in Frankfurt-Höchst oder sonst wo – erst recht nicht am internationalen Holocaust-Gedenktag.
In den verschiedenen Reden am Höchster Schlossplatz wurden vor allem der Antisemitismus und die Verschwörungsideologien betont, die auf den rechten Corona-Demos auf die Straße getragen werden. Mehrere Redner*innen hoben hervor, wie widerlich die Relativierung des Holocaust, die die Corona-Rechten immer wieder betreiben, ist. Die Selbstdarstellung von Ungeimpften als verfolgte Jüd*innen und von selbsternannten „Corona-Rebellen“ als Widerstandskämpfer*innen gegen eine faschistische Corona-Diktatur sei nicht nur eine falsche Wahrnehmung der Gegenwart, sondern auch eine Verharmlosung der Verbrechen des Nazifaschismus. Immer wieder wurde betont, dass man nicht Seite an Seite mit Nazis marschiert! Die VVN-BdA erinnerte in einem wichtigen Redebeitrag an die Opfer, welche die Rote Armee bringen musste, um das Konzentrationslager Auschwitz zu befreien. Ein Sprecher der Partei Die Linke war einer der wenigen, der auch Kritik an der Krisenpolitik der Bundesregierung übte und den unsozialen Charakter vieler Maßnahmen herausstellte. Ergänzt wurden die Reden durch eine Lichtinstallation, bei der verschiedene Parolen wie „Nazis raus“ und „Impfen schützt, Querdenken nicht“ an den Höchster Schlossturm projiziert wurden. Diese war Anfang Januar bei Protesten gegen die Corona-Rechten noch von der Polizei aus rechtlich nicht nachvollziehbaren Gründen untersagt worden. Die Partei Die Linke versucht derzeit, über eine Anfrage im Landtag die rechtliche Begründung dafür herauszubekommen.
Zwischenzeitlich lief eine Person in Richtung der antifaschistischen Kundgebung, die einen Davidstern mit der Aufschrift „Gesund“ an ihrer Kleidung trug. Diese widerliche NS-Relativierung, ausgerechnet am Jahrestag der Auschwitz-Befreiung, blieb von den anwesenden Polizist*innen aber zunächst ohne weiteren Kommentar. Stattdessen wurde sie freundlich in Richtung der Kundgebung der Corona-Rechten verwiesen. Später erhielt sie dort einen Platzverweis, wie die Polizei in einer Presseaussendung mitteilte.
Im Anschluss an die Kundgebung zogen die anwesenden Antifaschist*innen in einem lautstarken Demozug durch Höchst. Vom Lautsprecherwagen wurden Anwohner*innen auf Deutsch und Türkisch über den Grund der Demonstration aufgeklärt. Die Abschlusskundgebung fand an dem Platz in Höchst statt, wo früher die Synagoge gestanden hatte, die im Zuge der antisemitischen Novemberpogrome von organisierten Nazis und EinwohnerInnen von Höchst zerstört und geplündert wurde. Der Fokus der Kundgebung lag hier auf der Erinnerung und dem Gedenken an die Opfer des deutschen Nazifaschismus. Viele Demonstrant*innen bildeten eine symbolische Menschenkette um den Platz. Es wurden die Namen der Höchster Jüd*innen verlesen, die im Zuge der Shoah verfolgt, deportiert und ermordet wurden. Von rund 200 Jüd*innen, die damals in Höchst wohnten, überlebten gerade einmal fünf. In einer Schweigeminute wurde den Ermordeten gedacht. Zum Abschluss wurde gemeinsam das Lied „Die Moorsoldaten“ gesungen, das von kommunistischen Häftlingen im Konzentrationslager Börgermoor geschrieben und später international zum Lied des antifaschistischen Widerstands wurde.
Als Fazit wollen wir uns zunächst bei den Organisator*innen bedanken. Wir finden es extrem wichtig, sich den Corona-Rechten gemeinsam entgegenzustellen und ihnen nicht die Straße zu überlassen. Insbesondere am internationalen Holocaust-Gedenktag dürfen Verschwörungsideolog*innen und Antisemit*innen nicht unwidersprochen durch unsere Straßen laufen. Zudem gilt es, die Erinnerung und das Gedenken an die Verbrechen des Nazifaschismus und insbesondere die Shoah lebendig zu halten. Wir brauchen eine aktive antifaschistische Erinnerungskultur, die sich gegen Verharmlosung, Vereinnahmung und Verdrehung der Geschichte des Faschismus und des antifaschistischen Widerstands stellt. Nichtsdestotrotz müssen wir die allgemeine Tendenz kritisieren, dass das Problem mit den Demos der Corona-Rechten auch auf dieser Veranstaltung viel zu häufig auf die Nazis reduziert wird, die mitlaufen. Denn Nazis laufen nicht ohne Grund mit oder unterwandern einfach die Proteste. Nazis und andere FaschistInnen teilen zentrale Ideologien mit den anderen Teilnehmer*innen und deshalb ist ihre Anwesenheit eine logische Konsequenz des Weltbildes, das auf diesen Demos verbreitet wird. Auch ohne Nazis sind die Corona-Demos sozialdarwinistisch, wissenschaftsfeindlich, verschwörungsideologisch, antisemitisch, relativieren den NS sowie die Shoah und verbreiten ein egoistisches, unsoziales Freiheitsverständnis. Deshalb müssen wir uns diesen Demos als Ganzes entschieden entgegenstellen.
Des Weiteren mangelte es selbst auf dieser gewerkschaftlichen und antifaschistischen Kundgebung an einer linken Kritik an den bestehenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Gerade als Linke sollten wir hier deutlich betonen, was alles in dieser Pandemie schief läuft. Denn statt die Gesundheit aller zu schützen, wägt der kapitalistische Staat immer zwischen Menschenleben und Profiten ab – dabei wird ein gewisses Maß an Krankheit und Tod einkalkuliert, solange es nur den Profiten dient. Das Beharren auf Impfpatenten, die ungerechte globale Impfstoffverteilung, die korrupten Bereicherungen von Politiker*innen, die profitorientierte Ökonomisierung des gesamten Gesundheitswesens, die beschissenen Arbeitsverhältnisse und die schlechte Bezahlung der meisten als systemrelevant ausgerufenen Berufe, die Zunahme patriarchaler Gewalt, die Masseninfektionen unter migrantischen Arbeiter*innen in den Fleischfabriken und auf den Spargelfeldern – das alles sind die Auswirkungen einer kapitalistischen Pandemiebekämpfung, die Profite vor Bedürfnisse und Kapitalverwertung vor Menschenleben stellt. Sich dagegen zustellen ist auch eine zentrale Aufgabe von uns Antifaschist*innen.